Wie klimafreundlich ist Erdgas? Erdgas gilt zumindest für den Übergang als grüne Alternative für Kohle. So stufte die europäische Kommission Anfang Februar den Brennstoff als nachhaltig ein. Auch Deutschland setzt auf Erdgas. Das meiste hierzulande kommt durch Pipelines aus Russland, Norwegen und den Niederlanden. Zudem wird Flüssiggas aus den Vereinigten Staaten immer häufiger. Deshalb plant Deutschland, einen LNG-Terminal zu bauen. Um Flüssiggas (oder LNG) herzustellen, muss Erdgas auf Minus 162 Grad Celsius runtergekühlt werden. Dabei nimmt das Volumen um das 600-fache ab. Tankschiffe können so das Erdgas transportieren. Aber ist Erdgas wirklich nachhaltiger als Kohle?
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) fasste in einem
Bericht aus dem Jahr 2020 150 Studien zusammen.
Wenn Erdgas verbrannt wird, setzt das etwa 40 Prozent weniger Kohlenstoffdioxid frei als Steinkohle. Bei Braunkohle sind es sogar halb so viele CO2-Emissionen. Zudem werden kaum andere Luftschadstoffe wie Feinstaub und Schwefeldioxid freigesetzt. Dass Erdgas weniger CO2 freisetzt, sind sich Wissenschaftler weitgehend einig. Erdgas besteht allerdings hauptsächlich aus Methan, was im gesamten Herstellungsprozess entweichen kann. Das Treibhausgas wirkt zwar nicht so lang in der Atmosphäre wie CO2. Allerdings ist es laut dem Weltklimarat in einem Zeitraum von 100 Jahren 28- bis 34-mal wirksamer in der Atmosphäre als CO2. In einem Zeitraum von 20 Jahren ist Methan sogar 84- bis 87-mal wirksamer. Um also zu beantworten, ob Erdgas klimafreundlicher ist als Kohle, muss man die CO2-Äquivalente miteinander vergleichen. Dafür werden andere Treibhausgase in den Schädlichkeitswert von Kohlenstoffdioxid umgerechnet.
Wenn weniger als 3,2 Prozent des Erdgases – und somit auch des Methans – im Herstellungsprozess entweicht, so setzt Erdgas unterm Strich weniger CO2-Äquivalente frei als Kohle. Die Studienlage zur Methanfreisetzung ist allerdings uneindeutig. Die amerikanische Umweltbehörde EPA spricht von einem Verlust von 1,3 Prozent des amerikanischen Erdgases. Die von der BGR zusammengefassten Studienergebnisse reichen von 1,3 bis 2,5 Prozent – je nachdem, welche Produktionsschritte mit einberechnet werden. Obwohl immer wieder davon ausgegangen wird, dass Schiefergas schädlicher ist als konventionelles, liefert der Bericht hierfür keine eindeutigen Ergebnisse. Russisches Erdgas setzt zwischen 0,3 und 3,1 Prozent Methan frei. Aus norwegischem und niederländischem Gas entweicht im Schnitt weniger als 0,05 Prozent Methan. Der Bericht zeigt, dass Erdgas tatsächlich klimafreundlicher ist als Kohle. Lediglich LNG ist energieaufwändig. Es gehen fünf bis 15 Prozent des Erdgases verloren, um das Gas zu verflüssigen. Für einen zehntägigen Transport entweichen weitere 1,5 Prozent. Um das Flüssiggas dann wieder in Gas umzuwandeln, benötigt man weitere 1 bis 2,5 Prozent des Gases.
Weitere Studien kommen allerdings zu einem anderen Ergebnis. Die BGR bezeichnet eine
Studie, die 2018 im Fachmagazin Science erschienen ist, als eine der am größten angelegten Untersuchungen. Sie rechnet mit dem kurzfristigen Wirkungsgrad von Methan von 20 Jahren. Die Studie schätzt die Methan-Emissionen aus amerikanischem Erdgas- und öl 63 Prozent höher als die EPA. Grund hierfür ist, dass sie auch Lecks einberechnet.
Dementsprechend stoßen amerikanische Erdgasanlagen genauso viel CO2-Äquivalente aus wie alle amerikanischen Kohlekraftwerke, die 2015 in Betrieb waren. Weil amerikanisches Erdgas vor allem durch Fracking gewonnen wird, ist das nicht auf konventionelles Erdgas übertragbar. Das Ergebnis zeigt dennoch, dass zumindest Schiefergas keine klimafreundlichere Alternative zur Kohle darstellt.
Eine
Studie der Energy Watch Group aus dem Jahr 2019 kommt zu einem noch drastischeren Ergebnis.
Demnach stößt Schiefergas im Herstellungsprozess 40 Prozent mehr CO2-Äquivalente aus als Kohle. Konventionelles Gas ist ähnlich klimaschädlich wie Kohle. Sie vergleichen ihre Ergebnisse mit denen der Internationalen Energieagentur (IEA). Diese kommt im
World Energy Outlook-Bericht aus dem Jahr 2018 zu dem Ergebnis, dass Erdgas bei der Stromerzeugung halb so viele Treibhausgase emittiert wie Kohle. Die unterschiedlichen Ergebnisse kommen zustande, weil die IEA mit dem 100-jährigen Wirkungsgrad von Methan rechnet. Die Energy Watch Group nutzt die 20-jährige Wirkung. Zudem nutzt die IEA Daten zum Methangehalt in der Atmosphäre aus dem Jahrzehnt 2003 bis 2012. Die Energy Watch Group nutzt Daten einer Studie aus dem Jahr 2019, in dem der Methangehalt deutlich höher war. Zudem berechnet die IEA Emissionen von durchschnittlichen, bestehenden Erdgasanlagen. Die Energy Watch Group hingegen betrachtet künftig wettbewerbsfähige Anlagen, die emissionsintensiver sind. Welche Berechnung nun der Realität entspricht, ist schwer einzusehen. Klar ist allerdings, dass Erdgas nicht so eindeutig die klimafreundliche Alternative zu Kohle ist, wie es die EU suggeriert.