Die USA haben vor ihrem Truppenabzug aus Afghanistan dem Pentagon zufolge militärisches Gerät auf dem Flughafen Kabul unbrauchbar gemacht. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, John Kirby, sagte am Dienstagmorgen (Ortszeit) dem Sender CNN:
„Das Einzige, was wir funktionsfähig gelassen haben, sind ein paar Feuerwehrautos und ein paar Gabelstapler, so dass der Flughafen in Zukunft weiter in Betrieb bleiben kann.“
Fluggeräte und Fahrzeuge könnten nicht mehr benutzt werden. Um eine Minute vor Mitternacht Kabuler Zeit am späten Montagabend war das letzte US-Militärflugzeug vom Flughafen Kabul abgehoben. Der Abflug der Amerikaner machte Taliban-Kämpfern den Weg auf das Flughafengelände frei, das sie sofort erkundeten. In einem Video ist zu sehen, wie Männer mehrere Chinook-Helikopter inspizieren. Man sei nicht „übermäßigt besorgt“ über diese Bilder, sagte Kirby. „Wir haben alles getan, was wir konnten, um sicherzustellen, dass diese Ausrüstung in Zukunft nicht mehr von ihnen benutzt werden kann.“
Nach der Flucht des afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani ist nach Angaben des früheren Präsidenten Hamid Karsai ein Koordinierungsrat für eine friedliche Übergabe der Macht gebildet worden. Das teilte Karsai am Sonntag auf Facebook mit. Dem Rat gehörten der Vorsitzende des Nationalen Versöhungsrates, Abdullah Abdullah, der ehemalige Kriegsfürst Gulbuddin Hekmatjar und er selbst an.
Der Rat bitte die Sicherheitskräfte der Regierung und die Sicherheitskräfte der Taliban, Zusammenstöße und Chaos zu vermeiden. Nach dem rasanten Eroberungszug der Taliban war Präsident Aschraf Ghani am Sonntagabend (Ortszeit) aus dem Land geflogen. Abdullah Abdullah hatte dies in einer Videobotschaft bestätigt und gleichzeitig kritisiert. Der „Ex-Präsident“ habe in dieser Situation das Land verlassen, und Gott möge ihn zur Rechenschaft ziehen, sagte Abdullah weiter. Auch das Volk werde über ihn richten.
Auch der Verteidigungsminister Bismillah Chan Mohammadi kritisierte die Flucht Ghanis. „Sie haben uns die Hände hinter unserem Rücken gefesselt und das Land verkauft“, schrieb er auf Twitter ohne nähere Erläuterung. Ghani und seine Gruppe seien verdammt, schrieb er weiter.
„Wir wollen nicht, dass jemand die Taliban bilateral anerkennt“
„Die Machtübernahme der Taliban steht unmittelbar bevor“ (Heiko Maas)
Deutschland beginnt noch am Sonntag mit der Evakuierung von Mitarbeitern der deutschen Botschaft aus Kabul. „Ein Teil von ihnen wird noch im weiteren Verlauf des Tages ausgeflogen“, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Sonntagabend in Berlin. In der Nacht sollen dann nach Angaben des Ministers die Flugzeuge der Bundeswehr in die afghanische Hauptstadt starten, um bei der weiteren Evakuierung zu helfen.
„Die Machtübernahme der Taliban steht unmittelbar bevor“, sagte Maas. In dieser Situation habe die Sicherheit der deutschen Staatsangehörigen, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Botschaft „und genauso der Menschen, mit denen wir in den letzten Jahren in Afghanistan zusammengearbeitet haben“, Priorität. Die Botschaftsmitarbeiter seien vor Ort am Flughafen von Kabul in Sicherheit, ein Teil von ihnen werde im Laufe des Tages noch ausgeflogen. Maas hatte am Morgen die Räumung der Deutschen Botschaft und die Verlegung der Mitarbeiter an den Flughafen veranlasst.
Ich entschied mich zu gehen, um dieses Blutvergießen zu verhindern.
Wenige Stunden nach seinem Abflug aus Afghanistan hat Präsident Aschraf Ghani versucht, der Bevölkerung seine Flucht aus dem Land zu erklären. Er habe vor einer schweren Entscheidung gestanden, schrieb er am späten Sonntagabend (Ortszeit) auf Facebook. Wäre er geblieben, hätten zahlreiche Landsleute den Märtyrertod erlitten und die Stadt Kabul wäre zerstört worden.
Die bis nach Kabul vorgerückten Taliban haben nach seinen Worten in der Vergangenheit erklärt, dass sie bereit seien, blutige Angriffe in Kabul zu verüben, um ihn von der Macht zu vertreiben. „Ich entschied mich zu gehen, um dieses Blutvergießen zu verhindern.“ Zudem hat der afghanische Präsident die militärische Niederlage gegen die radikalislamischen Taliban eingestanden. „Die Taliban haben gesiegt", schrieb Ghani auf Facebook.
Die Taliban hätten ihren Erfolg durch Waffengewalt erzielt und seien nun dafür zuständig, die Leben, das Vermögen und die Ehre der Bürger zu schützen. Noch zu keiner Zeit in der Geschichte habe die Anwendung von Gewalt irgendjemandem Legitimität verliehen, und dies werde auch in der Zukunft nicht der Fall sein, hieß es in der Erklärung weiter. Die Islamisten stünden nun vor einer historischen Herausforderung.
US-Präsident Joe Biden hat sich mit seinem nationalen Sicherheitsteam über die aktuelle Sicherheitslage in Kabul ausgetauscht. Dabei sei es um die Evakuierung des zivilen Personals, afghanischer Helfer und anderen Verbündeten aus Afghanistan gegangen, hieß es am Sonntagnachmittag (Ortszeit) auf dem Twitter-Account des Weißen Hauses. Auch Vize-Präsidentin Kamala Harris war demnach bei der Videoschalte dabei. Biden hält sich aktuell in Camp David, dem Landsitz des US-Präsidenten im US-Bundesstaat Maryland auf. Weitere Details zu der Videoschalte waren zunächst nicht bekannt. Es war auch unklar, ob sich Biden am Sonntag noch öffentlich zu den aktuellen Ereignissen äußern wird.
Berichten zufolge hat US-Generalstabschef Mark Milley bei einem Telefonat mit Senatoren davor gewarnt, dass sich terroristische Gruppen wie Al Kaida in Afghanistan deutlich schneller wieder formieren könnten als erwartet. Das berichteten der Sender CNN und das Nachrichtenportal Axios am Sonntag übereinstimmend unter Berufung auf Teilnehmer. Bei dem Telefongespräch zwischen hochrangigen Vertretern der Regierung und Senatoren beider Parteien soll Außenminister Antony Blinken abermals die Abzugspläne verteidigt haben. „Wir verfügen über erhebliche Kapazitäten, um einer wieder aufkommenden terroristischen Bedrohung aus Afghanistan zu begegnen, und werden diese auch beibehalten“, hatte er am Sonntagmorgen im Interview mit dem Sender NBC gesagt.
Die radikalislamischen Taliban sind ins Zentrum der Macht in Kabul vorgerückt. Dutzende bewaffnete Kämpfer der Miliz übernahmen die Kontrolle über den Präsidentenpalast in der afghanischen Hauptstadt, wie auf Fernsehbildern zu sehen war. „Unser Land wurde befreit und die Mudschaheddin haben in Afghanistan gesiegt“, sagte einer von ihnen dem TV-Sender Al-Dschasira.
Die Lage in Afghanistan nach dem Einrücken der Taliban in die Hauptstadt Kabul soll am diesem Montag Thema im UN-Sicherheitsrat sein. Zuvor hatten Estland und Norwegen die Einberufung einer außerordentlichen Sitzung gefordert. „Bestätigt!“, schrieb die UN-Vertretung Norwegens am Sonntagnachmittag (Ortszeit) auf Twitter. Am Montag finde im Sicherheitsrat eine Sitzung zu Afghanistan statt. UN-Generalsekretär António Guterres wird auf der der Sitzung des Gremiums sprechen, wie die Vereinten Nationen mitteilten. Laut Agenda soll die Sitzung um 10.00 Uhr (Ortszeit) beginnen.
„Der Generalsekretär verfolgt mit großer Sorge die sich rasch entwickelnde Lage in Afghanistan“, hieß es in einer Mitteilung. Die Vereinten Nationen seien weiterhin entschlossen, zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts beizutragen, die Menschenrechte aller Afghanen, insbesondere die von Frauen und Mädchen, zu fördern und lebensrettende humanitäre Hilfe und wichtige Unterstützung für Zivilisten in Not zu leisten.
„Die amerikanischen Geheimdiensten (haben) am Dienstag glaube ich noch verkündet, sie gingen davon aus, dass 30 bis 90 Tage noch reichen würden, um Kabul zu halten. Dann würde die Stadt erst fallen.“
„Wir haben die Kultur nie verstanden, wir haben die Religion nie verstanden, das Stammesdenken, die Geschichte.“
„Der Krieg in Afghanistan ist vorbei.“
„Wir haben das erreicht, was wir gewollt haben, nämlich die Freiheit unseres Landes und die Unabhängigkeit unseres Volkes.“
„Wir, eine Handvoll ehrenamtlicher Unterstützer, hören sie und es bricht uns die Herzen weil wir nicht mehr helfen können.“