Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will sich bei US-Präsident Joe Biden für eine Verlängerung des Evakuierungseinsatzes in Afghanistan über die bisherige Deadline Ende August hinaus einsetzen. Das sagte Verteidigungs-Staatssekretär James Heappey dem Nachrichtensender Sky News am Montag. Johnson werde das Thema an diesem Dienstag bei einem Sondergipfel der G7-Staats- und Regierungschefs ansprechen.
Heappey machte auch deutlich, dass eine Fortsetzung des Evakuierungseinsatzes ohne die USA nicht denkbar ist. Das liege nicht nur an den US-Truppen, die den Einsatz sicherten, sondern auch am Betrieb des Flughafens. „Die harte Realität ist, dass es ohne die Unterstützung der USA keine internationale Luftbrücke geben würde.“ In Großbritannien hatte es Forderungen gegeben, die eigene Evakuierungsmission notfalls auch ohne US-Unterstützung fortzusetzen.
Ungarn hat 96 Afghanen, die das westliche Militärbündnis am Hindukusch als Ortskräfte unterstützt hatten, in einem Auffanglager untergebracht. Die Menschen seien am Tag zuvor mit einer Verkehrsmaschine aus der usbekischen Stadt Buchara nach Budapest geflogen worden, teilte das ungarische Innenministerium am Montag der staatlichen Nachrichtenagentur MTI mit.„Alle Personen wurden unter behördliche Quarantäne gestellt und werden vom ungarischen Staat vollumfänglich versorgt“, hieß es in der Mitteilung weiter. Sie seien in einem Objekt der Fremdenpolizei in Röszke an der serbischen Grenze vorübergehend untergebracht.
Ungarn habe am Sonntag 173 Menschen, die zuvor aus Afghanistan evakuiert worden waren, von Buchara nach Budapest geflogen, erklärte Außenminister Peter Szijjarto am Montag vor der Presse in Budapest. Ein Teil der Passagiere sei auf Ersuchen der USA und Österreichs mitgenommen worden. Budapest betrachte jene Afghanen, die für das ungarische Militärkontingent in Afghanistan tätig waren, als „Kameraden“, die nun in Ungarn schutzberechtigt seien.
Zugleich kritisierte Szijjarto das US-Militär in Kabul, das die ungarischen Evakuierungsbemühungen immer wieder behindere. In „zahlreichen Fällen“ sei es vorgekommen, dass Personen, die Ungarn herausholen wollte, den Flughafen in Kabul wegen der US-Soldaten, die die Zugänge bewachen, nicht erreichen konnten. „Ungarn erweist sich bei den Evakuierungsoperationen in Afghanistan als zu 110 Prozent loyaler Partner und erwartet sich dies auch von seinen Bündnispartnern“, fügte er hinzu.
In der grün-schwarzen Koalition in Baden-Württemberg gibt es Streit über ein mögliches Landesprogramm zur Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen. Angesichts der dramatischen Lage in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban dringt Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand darauf, über Familiennachzug deutlich mehr Menschen aufzunehmen als bisher in Deutschland vorgesehen. Justizministerin Marion Gentges (CDU) lehnte dieses Ansinnen ab und verwies auf das Bundesprogramm zur Aufnahme von Ortskräften, an dem sich der Südwesten beteilige. Das löste bei den Grünen Verärgerung aus. Es gebe „erheblichen Gesprächsbedarf“, hieß es am Montag aus Grünen-Kreisen.
Eine Sprecherin von Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) erklärte: „Der Ministerpräsident und auch die Justizministerin haben klar signalisiert, dass Baden-Württemberg für Hilfe bereitsteht. Aus Sicht des Staatsministeriums sind jetzt dringend Gespräche auf Bund-Länder-Ebene notwendig, um die Hilfe bestmöglich zu koordinieren.“ Das gelte auch für die Frage, ob und welche sinnvollen flankierenden Hilfsmaßnahmen der Länder möglich seien.
Wegen der dramatischen Lage am Flughafen von Kabul können dringend benötigte medizinische Güter nicht nach Afghanistan eingeflogen werden. Es gehe um mehr als 500 Tonnen Medikamente, Spezialnahrung und Ausrüstung wie chirurgische Instrumente, sagte die Sprecherin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Inas Hamam, am Montag dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Genf. Mit diesen Hilfsgütern könnten demnach Hunderttausende Menschen versorgt werden. Allein eine Millionen Kinder leiden laut Unicef derzeit unter schwerer akuter Mangelernährung.
Seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban vor etwa einer Woche bringen westliche Länder ihre Staatsangehörigen und weitere schutzbedürftige Menschen über den Flughafen Kabul außer Landes. Nach Angaben des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Eberhard Zorn, wurden am Sonntagabend die am Flughafen auf die Evakuierung wartenden Menschen mit Hilfsgütern versorgt. So seien über die usbekische Hauptstadt Taschkent vor allem Pflegeprodukte für Kleinkinder, Windeln, Feuchttücher sowie Nahrungsmittel, Schnuller und Kuscheltiere eingeflogen worden.
Nach Angaben von Außenminister Heiko Maas (SPD) steht das „Zeitfenster“ für die Evakuierungen nicht unbegrenzt offen. Seinen Angaben nach wurde mehr als 10.000 afghanischen Ortskräften und weiteren Schutzbedürftigen die Berechtigung erteilt, nach Deutschland zu kommen. Doch sie kämen nicht so leicht zum Flughafen. Die Lage dort habe sich weiter „chaotisiert“.
Das US-Verteidigungsministerium plant weiterhin einen Abzug aller amerikanischen Truppen vom Flughafen in der afghanischen Hauptstadt Kabul bis Ende August. Ziel sei, den Evakuierungseinsatz bis zu dieser Frist abzuschließen, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby am Montag in Washington. Darauf seien derzeit alle Kräfte konzentriert. Zu der Ankündigung der Taliban, sie würden einer potenziellen Verlängerung der Evakuierungsmission westlicher Staaten aus Afghanistan keinesfalls zustimmen, sagte Kirby, man habe die öffentlichen Äußerungen der Taliban gesehen und sei sich bewusst, dass dies ihr Wunsch sei.
Ein Sprecher der militant-islamistischen Taliban hatte dem britischen Nachrichtensender Sky News am Montag gesagt: „Würden die USA oder Großbritannien zusätzliche Zeit erbitten, um die Evakuierungen fortzusetzen, wäre die Antwort ein Nein“, sagte Suhail Schahin, ein Mitglied der Taliban-Delegation in Doha. Die für den 31. August festgesetzte Frist sei eine „rote Linie“. Sie zu verschieben, käme einer Verlängerung der militärischen Besatzung seines Landes gleich. Dazu gebe es keinen Grund. „Wenn sie vorhaben, die Besatzung zu verlängern, wird das eine Reaktion hervorrufen“.
Der Pentagon-Sprecher wies wiederholte Nachfragen, wie sich eine mögliche Verlängerung der Frist gestalten könnte, als hypothetisch zurück und betonte, an diesem Punkt sei man nicht. Derzeit liege der Fokus darauf, an dem Zeitplan bis zum 31. August festzuhalten.
Trotz Gewalt und chaotischer Zustände an den Gates zum Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul schreitet die Evakuierungsmission voran. Das Tempo der Abflüge habe sich im Vergleich zu Sonntag fast verdoppelt, schrieb der zivile Repräsentant der Nato in Afghanistan, Stefano Pontecorvo, am Montag auf Twitter. Genaue Zahlen nannte er keine.
Die USA flogen erstmals innerhalb von 24 Stunden mehr als 10.000 Menschen aus Kabul aus. Zwischen dem frühen Sonntagmorgen und dem frühen Montagmorgen hätten 28 Flugzeuge des US-Militärs rund 10.400 Menschen außer Landes gebracht, teilte das Weiße Haus in Washington mit. Im selben Zeitraum hätten außerdem 61 Maschinen internationaler Partner rund 5900 Menschen evakuiert.
Zuletzt hatten mehrere Länder damit begonnen, Wege zu suchen, um Menschen, die auf Listen für Evakuierungsflüge sind, in den Flughafen zu bringen. Wegen der Menschenmassen an den Gates konnten diese oft nicht auf das Gelände. Die Bundeswehr ist nun auch außerhalb des massiv gesicherten Flughafengeländes im Einsatz, um Menschen in Sicherheit zu bringen. Auch ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums sagte am Montag, man habe die Möglichkeit, US-Bürgern zu helfen, sich dem Flughafentor zu nähern, wollte allerdings keine Details dazu nennen.
Qatar sieht sich bei den Bemühungen um eine Evakuierung Schutzbedürftiger aus Afghanistan als „unparteiischer Vermittler“ zwischen den Taliban und den USA. „Wir pflegen Kontakte mit allen Parteien“, sagte Qatars Außenminister Mohammed bin Abdelrahman Al Thani dem US-Sender Fox am Sonntag (Ortszeit). „Im Moment versuchen wir, die Anreise der Menschen von ihren Aufenthaltsorten zum Flughafen zu ermöglichen.“ Qatar übernehme „die volle Verantwortung“ für die Sicherheit der Menschen, die Afghanistan verlassen wollten.
Bislang hat das Emirat am Golf den Angaben zufolge 7000 afghanische Zivilisten ausgeflogen. Auch mehrere Deutsche holte Qatar aus Afghanistan. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bedankte sich am Montag persönlich für die Unterstützung bei der Evakuierungsmission. „Qatar hat eine echte Führungsrolle übernommen“, sagte er nach Angaben des Auswärtigen Amtes in einem Telefon mit Al Thani.
Al Thani zufolge dringt der Golfstaat auf einen friedlichen Wandel in Afghanistan, eine Beteiligung aller Parteien an der Macht sowie auf die Wahrung der Grundrechte aller Menschen im Land. Der Außenminister betonte aber zugleich, dass Qatar trotz seiner Vermittlerrolle keinerlei Einfluss auf die militant-islamistischen Taliban habe.
Qatar pflegt gute Kontakte zu den Taliban, die in Afghanistan die Macht übernommen haben. Mullah Abdul Ghani Baradar, Vize-Chef der Bewegung und Leiter des politischen Büros, hielt sich lange in Doha auf. Dort wurden auch die Verhandlungen mit den USA geführt, in denen das Golf-Emirat als Vermittler auftrat.
Der Vorsitz im Rat der EU hat für Donnerstag ein Sondertreffen zur Lage in Afghanistan einberufen. „Die slowenische Präsidentschaft strebt zu diesem Thema einen Meinungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten und eine gemeinsame Reaktion der EU an“, teilte ein Sprecher am Montagabend mit. Das Treffen werde auf Botschafterebene organisiert, wahrscheinlich werde es in Kürze zudem eine Sondertagung der EU-Innenminister zu möglichen Auswirkungen der Ereignisse in Afghanistan auf die Migration geben.
Slowenien hat den alle sechs Monate wechselnden EU-Ratsvorsitz seit Juli inne. Als kleines Land mit nur rund 2,1 Millionen Einwohnern besitzt es bei europäischen Entscheidungsprozessen normalerweise keinen besonders großen Einfluss. Als EU-Vorsitzland kommt ihm nun aber für eine halbes Jahr eine wichtige Rolle bei der Themensetzung und bei der Lösung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den EU-Staaten zu.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat sich für eine längstmögliche Fortsetzung der Evakuierungsflüge aus der afghanischen Hauptstadt Kabul ausgesprochen. „Unser Wunsch ist, dass der Flughafen so lange wie möglich offen gehalten wird“, sagte der Unionskanzlerkandidat am Dienstag nach einer Sitzung seines Landeskabinetts in Berlin. Die Bundeswehr solle so lange wie möglich Menschen aus Afghanistan herausbringen.
Bei den Evakuierungen spielten jedoch mehrere Akteure eine Rolle, sagte der Ministerpräsident. „Ganz wesentlich“ dafür, dass der Flughafen offen gehalten werden könne, seien die USA. Derzeit liefen diplomatische Gespräche.
Nordrhein-Westfalen wolle „in einem ersten Schritt“ 800 afghanische Ortskräfte und ihre Familien aufnehmen. Auch besonders gefährdeten Frauen, die nicht als Ortskräfte tätig waren, solle eine Aufnahme im Land ermöglicht werden. Dazu zählten etwa Bürgerrechtlerinnen, Künstlerinnen oder Journalistinnen und ihre Familien.
Kurz vor dem Krisentreffen der G-7-Staaten zur Lage in Afghanistan gibt es Berichte über schwerste Menschenrechtsverletzungen nach der Machtübernahme der Taliban. Darunter seien Massenhinrichtungen von Zivilisten und Angehörigen regierungstreuer Sicherheitskräfte, sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, am Dienstag in Genf. Bei der Evakuierungsmission blieb weiter offen, ob die Rettungsflüge auch nach Monatsende fortgesetzt werden, mit denen derzeit täglich Tausende Menschen vor den Islamisten aus Kabul fliehen.
Bachelet sprach bei einer Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf zur Lage in Afghanistan von „gravierenden Risiken für Frauen, Journalisten und die neue Generation von Leitfiguren der Zivilgesellschaft“. Der Bewegungsspielraum von Frauen sei in manchen Regionen nach Machtübernahme der militant-islamistischen Aufständischen eingeschränkt worden, Mädchen dürften teils nicht mehr zur Schule gehen. Friedliche Proteste würden unterdrückt und Minderjährige zum Waffendienst geholt. Die Berichte seien glaubhaft, betonte Bachelet.
Mitarbeiter der Vereinten Nationen sowie von UN-Hilfsorganisationen wollen die Taliban offenbar im Land behalten. „Sie haben klar gemacht, dass die UN bleiben sollen“, sagte Richard Brennan, Regionaldirektor für Nothilfe bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), in Kairo. „Es gab einige ermutigende Zeichen und Gespräche.“ Über den Verbleib der UN-Mitarbeiter liefen derzeit Verhandlungen zwischen Taliban und UN.
Die Evakuierungsmission am Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul gewinnt weiter an Tempo. Die USA flogen bei dem Einsatz erstmals innerhalb von 24 Stunden mehr als 12.000 Menschen aus Kabul aus. Zwischen dem frühen Montagmorgen und dem frühen Dienstagmorgen hätten 37 Flugzeuge des US-Militärs rund 12.700 Menschen außer Landes gebracht, teilte das Weiße Haus am Dienstag in Washington mit. Im gleichen Zeitraum hätten außerdem 57 Maschinen internationaler Partner rund 8900 Menschen evakuiert. Seit dem Start der Evakuierungsmission Mitte August hätten die Vereinigten Staaten insgesamt rund 58.700 Menschen entweder selbst aus Afghanistan ausgeflogen oder deren Ausreise ermöglicht.
Die radikalislamischen Taliban haben die US-Streitkräfte aufgefordert, bei ihren Rettungseinsätzen keine weiteren afghanischen Fachkräfte außer Landes zu fliegen. „Wir fordern sie auf, dies zu stoppen“, sagte der Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid am Dienstag vor Journalisten in Kabul. Er bezog sich damit auf afghanische Experten wie beispielsweise Ingenieure. Nur Ausländer dürften von den westlichen Einsatzkräften aus Kabul ausgeflogen werden.
Mudschahid wiederholte auch die Warnung der Islamisten, dass nach dem 31. August keine Evakuierungsflüge aus Kabul mehr erfolgen dürften. Die Taliban hatten bereits zuvor vor „Konsequenzen“ gewarnt, sollte der Einsatz des US-Militärs am Flughafen verlängert werden.
Der Nachrichtensender CNN berichtete indessen, das US-Verteidigungsministerium habe von US-Präsident Joe Biden für den Verlauf des Dienstag um eine Entscheidung gebeten, ob der Einsatz verlängert werden solle. Hintergrund ist, dass nach dem Abschluss der Evakuierungen auch die 5800 am Flughafen von Kabul eingesetzten US-Soldaten mitsamt ihrem Material ausgeflogen werden müssen.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sich beim G7-Sondergipfel zur Lage in Afghanistan den Forderungen nach einem Weiterbetrieb des Flughafens in Kabul angeschlossen. Stoltenberg habe bei den Gesprächen betont, wie wichtig es sei, den Flughafen offen zu halten, um die Evakuierungen fortzusetzen, teilte die Bündniszentrale am Dienstagabend mit.
Der bisherige Zeitplan der USA sieht vor, alle Truppen bis zum 31. August aus Afghanistan abzuziehen, was bedeuten würde, dass der derzeitige Evakuierungseinsatz für Ausländer und durch die Taliban gefährdete Afghanen vermutlich schon Ende dieser Woche enden müsste.
Dass der Betrieb des Flughafens in Kabul ohne die USA aufrechterhalten werden kann, gilt als unwahrscheinlich. Sie waren zuletzt mit etwa 5800 US-Soldatinnen und -Soldaten vor Ort, um nach der Machtübernahme der Taliban den Evakuierungseinsatz abzusichern.
Den Angaben aus der Bündniszentrale zufolge betonte Stoltenberg bei der Videokonferenz der G7-Staaten zudem die Entschlossenheit der Nato, den Kampf gegen den Terrorismus fortzusetzen. Die Alliierten würden sicherstellen, dass Afghanistan nicht wieder zu einem Rückzugsort für terroristische Gruppen werde, sagte er laut einer Pressemitteilung.