Bundesaußenminister Heiko Maas will seine Gespräche über die Aufnahme afghanischer Schutzsuchender am Dienstag in Pakistan fortsetzen. Es ist eine weitere Station seiner Reise in fünf Länder, die eine Rolle bei den Bemühungen um die Ausreise von Menschen aus Afghanistan spielen.
Vor seinem Besuch in Pakistan hatte Maas am Montag Gespräche in Usbekistan und Tadschikistan geführt. Die drei Nachbarländer Afghanistans zählen zu den ersten Anlaufstationen für Menschen, die sich auf dem Landweg vor den militant-islamistischen Taliban in Sicherheit bringen wollen. Die Bundesregierung bemüht sich darum, mehr als 40.000 von ihnen in Deutschland aufzunehmen.
Die militant-islamistischen Taliban haben den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan als historisch gefeiert. Das hochrangige Taliban-Mitglied Anas Hakkani schrieb am Montagabend deutscher Zeit auf Twitter: „Wir schreiben wieder Geschichte. Die 20-jährige Besetzung Afghanistans durch die USA und die Nato endete heute Abend. Gott ist groß.“ Er sei sehr glücklich, nach 20 Jahren des Dschihad, auf dessen Opfer und Härten er stolz sei, diese historischen Momente zu sehen.
„Am Himmel ist Ruhe“, schrieb ein Reporter der „New York Times“ auf Twitter. Er könne hören und sehen, was wohl Freudenschüsse der Taliban seien.Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid schrieb auf Twitter, der letzte US-Soldat habe um etwa Mitternacht afghanischer Zeit den Flughafen Kabul verlassen, das Land habe jetzt die völlige Unabhängigkeit erreicht.
Mudschahid schrieb in einem weiteren Tweet, die aktuellen Schüsse seien Freudenschüsse, die Menschen sollten sich keine Sorgen machen. Man versuche, dies unter Kontrolle zu bringen. In sozialen Medien beglückwünschten sich Taliban-Anhänger gegenseitig. „Gratulationen an alle“, hieß es, „Afghanistan ist frei“. Andere schrieben, der Mythos der amerikanischen Unbesiegbarkeit sei in Afghanistan zerschlagen worden. Und: „Ihr hattet die Uhren, aber wir hatten die Zeit.“
Bei ihrem Abzug haben die US-Truppen zahlreiche Flugzeuge und gepanzerte Fahrzeuge sowie das Raketenabwehrsystem auf dem Flughafen von Kabul funktionsunfähig gemacht, damit diese nicht in die Hände der Taliban oder anderer islamistischer Gruppen fallen. 27 Humvees und 70 gepanzerte MRAP-Fahrzeuge – die bis zu eine Million Dollar pro Stück kosten können – seien unbrauchbar gemacht worden, sagte der Chef des Zentralkommandos der US-Streitkräfte, General Kenneth McKenzie. Die Fahrzeuge „werden nie wieder von irgendjemandem benutzt werden“.
Die USA ließen auch das Raketenabwehrsystem C-RAM-System zurück, das zum Schutz des Flughafens vor Raketenangriffen eingesetzt wurde. Das System trug unter anderem dazu bei, den Beschuss mit fünf Raketen durch die Terrormiliz Islamischer Staat am Montagmorgen abzuwehren. „Wir haben uns dafür entschieden, diese Systeme bis zur letzten Minute in Betrieb zu halten, bevor das letzte US-Flugzeug abflog“, sagte McKenzie. „Es ist ein komplexes und zeitintensives Verfahren, diese Systeme abzubauen. Also entmilitarisieren wir sie, damit sie nie wieder benutzt werden.“ Ebenso seien 73 Flugzeuge, die sich bereits auf dem internationalen Flughafen Hamid Karzai befanden, von den US-Truppen „entmilitarisiert“ oder funktionsunfähig gemacht worden, sagte McKenzie weiter.
Die US-Armee hatte in der Nacht zum Dienstag ihren Einsatz in Afghanistan nach 20 Jahren beendet. Ein letztes US-Militärflugzeug hob vom Flughafen der Hauptstadt Kabul ab, womit auch die militärische Evakuierungsmission abgeschlossen ist. US-Präsident Joe Biden hatte einen vollständigen Truppenabzug bis zum 31. August angeordnet.
Nach dem Abzug der amerikanischen Truppen wollen die Taliban nach eigenen Angaben gute Beziehungen mit den Vereinigten Staaten. „Wir wollen gute Beziehungen zu den USA und der ganzen Welt haben“, sagte Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid am Dienstag bei einer Rede am Flughafen in Kabul. „Wir begrüßen gute diplomatische Beziehungen mit allen.“
Er beglückwünschte die Afghanen zu ihrem „Sieg“, wenige Stunden nachdem die letzten amerikanischen Soldaten das Land um kurz vor Mitternacht verlassen hatten. „Glückwunsch an Afghanistan, dieser Sieg gehört uns allen“, sagte Mudschahid, der auf der Landebahn des Flughafens stand.
„Wir müssen einen sicheren Zugang zum Flughafen verlangen.“
Außenminister Heiko Maas (SPD) hat an die Taliban appelliert, die Zusagen einzuhalten, dass weitere Menschen ausreisen dürfen und eine inklusive Regierung in Kabul entstehe. „Wir wollen nicht nur, dass sie eingehalten werden, sondern sie auch umsetzen“, sagte Maas bei einem Besuch in Islamabad. „Dafür führen wir weitere Gespräche mit den Taliban.“ Man brauche Absprachen etwa für die Evakuierung von Menschen über den Landweg. Er hoffe, dass der Flughafen Kabul bald wieder für Charterflugzeuge zur Verfügung stehe.
Maas stellte den Nachbarstaaten Afghanistans auch Hilfen beim Grenzmanagement und bei der Terrorismus-Prävention in Aussicht. Dies biete Deutschland über die zugesagten 100 Millionen Euro humanitäre Hilfe und 500 Millionen Euro für die Nachbarstaaten hinaus an.
Pakistan forderte die internationale Gemeinschaft dazu auf, Afghanistan nach dem Sieg der Taliban nicht alleine zu lassen. „Wir dürfen keinen wirtschaftlichen Kollaps zulassen. Er ist im Interesse von niemanden“ , sagte Außenminister Shah Mehmood Quereshi nach einem Treffen mit Maas.
Nach dem Abzug der US-Truppen sieht China Afghanistan vor einem neuen Start. „Afghanistan hat sich von der ausländischen militärischen Besetzung befreit. Das afghanische Volk steht an einem neuen Ausgangspunkt für Frieden und Wiederaufbau“, sagte Wang Wenbin, ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums, am Dienstag.
Der US-Abzug aus Afghanistan habe gezeigt, dass Militärinterventionen und Versuche, anderen Ländern gewaltsam Werte und Gesellschaftssysteme aufzuzwingen, zum Scheitern verurteilt seien. China verfolge eine Politik der Freundschaft gegenüber dem gesamten afghanischen Volk. Man werde weiterhin eine enge Kommunikation mit allen Parteien aufrechterhalten und Hilfe leisten, um Afghanistan bei der Wiederherstellung des Friedens, dem Wiederaufbau der Wirtschaft und der Bekämpfung terroristischer Gruppen zu unterstützen.
Die Bundesregierung ist im Gespräch mit europäischen Partnern, um nach einem Weg für reguläre Kontakte mit den Taliban in Kabul zu suchen. Man müsse schauen, „wie können wir mit den Taliban sprechen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin bei einer Pressekonferenz mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Mit Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Italien und den Niederlanden berate die Bundesregierung deshalb darüber, wie eine Präsenz Europas in Kabul aufgebaut werden könne, ohne dass dies einer diplomatischen Anerkennung gleichkomme. Bei den Gesprächen müsse es darum gehen, gefährdete Menschen wie etwa die ehemaligen Ortskräfte der Bundeswehr nach dem Ende der Luftbrücke noch außer Landes zu bringen.
Merkel bezifferte den Kreis der Betroffenen auf bis zu 40.000 Personen. Darüber hinausgehende Flüchtlinge müssten vor allem „in der Nähe ihrer Heimat“ humanitär versorgt werden, betonte Merkel. Sie verwies auf die derzeitige Reise von Außenminister Heiko Maas in die Nachbarländer Afghanistans und sagte, auch sie habe etwa mit Pakistans Ministerpräsident Imran Khan über die Lage der Flüchtlinge gesprochen. Merkel betonte, für die Frage nach Kontingenten zur Aufnahme von Menschen aus Afghanistan in Europa sei es noch zu früh. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk habe darauf verwiesen, dass derzeit die Binnenflüchtlinge das drängendste Problem seien.
In Brüssel berieten am Dienstag auch die Innenminister der EU-Staaten über die Frage der Flüchtlinge in Afghanistan. Bundesinnenminister Horst Seehofer sagte bei seiner Ankunft in Brüssel, es gehe zunächst darum, den Menschen in Afghanistan und in den benachbarten Ländern zu helfen. Er halte es nicht für klug, jetzt über Zahlen zur Aufnahme von Flüchtlingen in Europa zu sprechen. Österreich hat bereits deutlich gemacht, keine Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen zu wollen. Kanzler Kurz bekräftigte diese Haltung in Berlin und betonte, sein Land habe bereits zahlreiche Menschen aufgenommen. In Österreich lebe pro Kopf die viertgrößte afghanische Gemeinschaft weltweit.
Jeder dritte Afghane weiß nicht, woher er seine nächste Mahlzeit bekommen soll,