In der afghanischen Hauptstadt Kabul ist am Mittwoch eine weitere Bundeswehr-Maschine zur Evakuierung von Deutschen und Ortskräften gestartet. An Bord seien etwa 180 Menschen, teilte das Verteidigungsministerium am Mittwoch in Berlin mit.
Damit seien insgesamt mehr als 400 Menschen in Sicherheit gebracht worden, so das Ministerium auf Twitter. Insgesamt sind an diesem Mittwoch vier solche Evakuierungsflüge aus Afghanistan ins Nachbarland Usbekistan geplant.
Das in Kabul gestartete Transportflugzeug A400M flog in die usbekische Hauptstadt Taschkent. Geplant ist, dass die Menschen von dort mit der Lufthansa weiter nach Deutschland gebracht werden. Das Verteidigungsministerium kündigte an: „Wie evakuieren, solange es geht, so viele deutsche Staatsangehörige, Ortskräfte und weitere gefährdete Personen.“
„Ich werde als Bundeskanzler eine Garantie abgeben, dass jeder, der sich auf diesen Namenslisten befindet, der sich für Deutschland engagiert hat, in Deutschland Aufnahme findet.“
Die EU-Kommission hat die Mitgliedstaaten aufgefordert, gefährdete Menschen in Afghanistan schnell nach Europa zu holen. Afghanen, die nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban in Kabul „unmittelbar bedroht sind, sollten in EU-Mitgliedstaaten umgesiedelt werden“, sagte Innenkommissarin Ylva Johansson am Mittwoch nach einer Videokonferenz mit den EU-Innenministern. Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan lehnte sie vehement ab.
„Es gibt Menschen, die sich zum Beispiel für die Grundrechte von Journalisten und anderen in Afghanistan eingesetzt haben, die jetzt bedroht sind und wirklich sicher in die Europäische Union umgesiedelt werden müssen“, sagte Johansson weiter. Wir sollten nicht warten, bis die Menschen an unserer Außengrenze stehen. Wir müssen ihnen schon vorher helfen.“
Besonders Österreich hatte die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus Afghanistan zuvor abgelehnt und darauf bestanden, kriminelle und abgelehnte afghanische Asylbewerber weiterhin abzuschieben. Wenn dies nach Afghanistan nicht möglich sei, sollten dafür „Abschiebezentren“ in Nachbarstaaten in der Region geschaffen werden, forderte Innenminister Karl Nehammer.
Die Lage am Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul ist nach Angaben von Bundesaußenminister Heiko Maas weiterhin zum Teil „außerordentlich chaotisch“. „Die Anzahl der Zugangspunkte ist beschränkt. Und nach unseren Informationen scharen sich Hunderte von Menschen vor diesen Toren, teilweise werden das auch Tausende und dabei ist es immer wieder zu Gewaltausbrüchen gekommen“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch nach der Sitzung des Krisenstabs der Bundesregierung in Berlin.
Trotzdem nimmt die Evakuierungsaktion der Bundeswehr für deutsche Staatsbürger und afghanische Helfer der Bundeswehr und Bundesministerien Fahrt auf. Die Bundesregierung plant nach Angaben des Außenministers, noch heute zwei Bundeswehr-Flugzeuge für weitere Evakuierungsflüge nach Kabul zu schicken. „Wir haben jetzt insgesamt seit Sonntag 500 Menschen aus Kabul ausgeflogen und in Sicherheit gebracht. Und wir wollen das in den kommenden Tagen auch in der Quantität weiterführen.“ Von den 500 Evakuierten seien etwas mehr als 100 Menschen afghanische Staatsangehörige gewesen.
Nach einem chaotischen Start nimmt der Evakuierungseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan Fahrt auf. Militärmaschinen vom Typ A400M pendeln nun zwischen Kabul und der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Sie flogen bis Mittwochabend nach Angaben aus Militärkreisen 673 Menschen aus. Die Bundesregierung brachte zugleich die rechtliche Grundlage für den Einsatz auf den Weg. Nach dem vom Kabinett beschlossenen Mandatsentwurf sollen bis zu 600 Soldaten bis spätestens Ende September im Einsatz sein. Für die Operation werden etwa 40 Millionen Euro veranschlagt.
Im Bundestag beschäftigten sich die Ausschüsse für Verteidigung und Außenpolitik mit der überraschend schnellen Machtübernahme der Taliban. Die Opposition warf der Bundesregierung Schönfärberei und Versagen bei der Lageeinschätzung in den letzten Wochen vor.
Aber auch im Koalitionslager gibt es Unmut. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen bezeichnete die Situation in Afghanistan als „dramatischen Scherbenhaufen“. „Es ist ein menschliches Drama und eine Katastrophe, es ist eine politische Katastrophe, es ist ein moralisches Scheitern des Westens“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses.
Kurz nach der Landung in Taschkent werden die Evakuierten von deutschen Sicherungskräften aus dem Airbus A400M geleitet. (Foto: dpa)
Ein an den Evakuierungsflügen aus Kabul beteiligtes deutsches Transportflugzeug ist defekt. Das Problem beeinflusse die Evakuierungen aus der afghanischen Hauptstadt aber nicht, betonte das Bundesverteidigungsministerium am Mittwochabend im Online-Dienst Twitter.
Eine Ersatzmaschine sei bereits in Kabul gelandet. Zudem sei ein weiterer Militärtransporter vom Typ A400M mit Ersatzteilen in Taschkent eingetroffen. Dort befindet sich auch der defekte A400M.
Der aus Afghanistan geflüchtete Präsident Aschraf Ghani will eigenen Angaben zufolge nicht im Exil bleiben. Er sei in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), um ein Blutvergießen und eine Tragöde zu verhindern. Er sei aber in Gesprächen, nach Afghanistan zurückzukehren und seine Bemühungen für Gerechtigkeit im Land fortzusetzen, sagte Ghani in einer am Mittwoch auf Facebook veröffentlichten Videobotschaft.
Ghani hatte Afghanistan angesichts des rasanten Vormarsches der militant-islamistischen Taliban am Sonntagvormittag fluchtartig und ohne Erklärung verlassen. Danach waren die Taliban am Abend in die geschätzt 5,4 Millionen Einwohner zählende Hauptstadt Kabul eingerückt.
Ghani wies Vorwürfe zurück, dass er Gelder mitgenommen habe. Der afghanische Botschafter in Tadschikistan etwa hatte Ghani des Diebstahls von 169 Millionen Dollar (144 Millionen Euro) an staatlichen Mitteln beschuldigt. Die Vorwürfe seien völlig unbegründet und weit entfernt von der Wahrheit.
Kontakt aus dem Exil: Präsident Ashraf Ghani wendet sich per Videobotschaft an sein Volk. (Foto: Reuters)
Weiter gab Ghani an, er habe das Land so schnell verlassen müssen, dass er seine Hausschuhe nicht ausziehen und seine Stiefel nicht anziehen konnte. Er habe keines seiner wertvollsten Besitztümer mitnehmen können, weder seine Bücher noch einen persönlichen Laptop, „auf dem alles war“. Ghani gilt als Vielleser. Seine Bibliothek im Präsidentenpalast soll rund 6000 Bücher umfassen.
Das Außenministerium der VAE bestätigte am Mittwoch, dass das Land ihn und seine Familie aus humanitären Gründen aufgenommen habe. Zuvor hatte es Berichte gegeben, wonach Ghani in der Hauptstadt Abu Dhabi gesichtet worden sein soll.
„Wir dürfen jetzt nicht den Eindruck erwecken, dass wir die Probleme in Afghanistan in Deutschland lösen könnten. Das würde das Risiko einer Fluchtbewegung nach Europa massiv erhöhen.“
„Als reichster Staat in der Europäischen Union muss Deutschland natürlich einen großen Teil dieser Menschen aufnehmen, die jetzt aus Afghanistan kommen. Kapazitäten dafür sind vorhanden.“