„Wir dürfen nicht zulassen, dass die afghanische Regierung zerfällt.“
Die Vereinigten Staaten nutzen auch ihren riesigen Militärstützpunkt im pfälzischen Ramstein als Drehkreuz für die Evakuierung von Schutzsuchenden aus Afghanistan. Das habe die Bundesregierung mit den USA vereinbart, teilte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Freitag in Berlin mit. Die Air Base werde „temporär für den Transit von schutzsuchenden Personen aus Afghanistan in die USA genutzt“.
Ramstein nahe Kaiserslautern gilt als einer der wichtigsten militärischen Transport- und Frachtflughafen der US-Streitkräfte in Europa. In der Air Base sollen dem Vernehmen nach amerikanische Staatsangehörige und Ortskräfte aus Afghanistan auf ihren Weiterflug in die USA vorbereitet werden. Erwartet werden demnach mehrere Tausend Menschen.
„Wir erwarten von den Taliban, dass sie allen ausländischen Staatsangehörigen und Afghanen, die das Land verlassen wollen, die sichere Ausreise ermöglichen“
Das westliche Militärbündnis Nato hat die radikalislamischen Taliban aufgefordert, die laufenden Evakuierungen aus Afghanistan nicht zu behindern. „Wir erwarten von den Taliban, dass sie allen ausländischen Staatsangehörigen und Afghanen, die das Land verlassen wollen, die sichere Ausreise ermöglichen“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag nach einer Sondersitzung der Außenminister der Nato-Staaten. Es sei die „höchste Priorität“ des Bündnisses, Menschen in Sicherheit zu bringen.
Maßgeblich dafür sei die Sicherheit am Kabuler Airport. Stoltenberg dankte insbesondere der Türkei, den USA und Großbritannien dafür, dass sie mit ihren Streitkräften den Betrieb des Flughafens aufrecht halten. „Die größte Herausforderung besteht jedoch darin, sicherzustellen, dass die Menschen den Flughafen Kabul erreichen und betreten können.“
Die Außenminister der 30 Nato-Staaten haben die neuen Machthaber in Afghanistan vor einer Zusammenarbeit mit internationalen Terroristen gewarnt. Man habe 20 Jahre lang erfolgreich verhindert, dass Terroristen Afghanistan als einen sicheren Rückzugsort für die Initiierung von Anschlägen nutzen könnten, heißt es in einer am Freitag nach einer Videokonferenz veröffentlichten Erklärung. Man werde Bedrohungen durch Terroristen nicht zulassen und sei entschlossen, den Kampf gegen Terrorismus unnachgiebig, zielstrebig und solidarisch fortzusetzen.
Ob und wenn ja welche Konsequenzen aus den jüngsten Entwicklungen in Afghanistan gezogen werden, ließen die Außenminister offen. In der Erklärung heißt es zu diesem Thema lediglich: „Gemeinsam werden wir unser Engagement in Afghanistan umfassend reflektieren und die notwendigen Lehren ziehen.“
Die Vereinigten Staaten wollen nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg den Evakuierungs-Einsatz am Flughafen von Kabul in weniger als zwei Wochen beenden. Die US-Regierung hätte signalisiert, dass ihr Zeitplan am 31. August ende, sagte der Norweger am Freitag nach einer Videokonferenz mit den Außenministern der Bündnisstaaten. Zugleich bestätigte er, dass sich mehrere Alliierte bei den Gesprächen für die Möglichkeit einer Verlängerung des Einsatzes ausgesprochen haben. Es gehe darum, mehr Leute aus dem Land zu bringen, sagte er.
Dass der Betrieb des Flughafens in Kabul ohne die USA aufrechterhalten werden kann, gilt als unwahrscheinlich. Sie waren zuletzt mit rund 5200 US-Soldaten vor Ort, um nach der Machtübernahme der Taliban den Evakuierungs-Einsatz abzusichern.
Auf einem Videoclip, der sich am Freitag in sozialen Medien und in US-Medien verbreitete, war zu sehen, wie aus einer Menschenmenge ein Baby über eine Mauer mit Stacheldraht an US-Militärs übergeben wurde. Ein Soldat packte das Baby am rechten Arm und reichte es an Kollegen weiter.
Ein Sprecher der US-Marineinfanteristen erklärte am Freitag, der Soldat in dem Clip sei ein Mitglied einer ihrer Einheiten. Das Baby sei zu einer medizinischen Station auf dem Gelände gebracht worden und werde dort von Gesundheitspersonal versorgt. Zu den Umständen der Szene - etwa dazu, was mit den Eltern des Kindes ist - äußerte sich der Sprecher auf Anfrage zunächst nicht weiter.
Nach der Machtübernahme durch die Taliban wird eine Fortsetzung der humanitären Hilfe für Afghanistan nach Angaben von US-Präsident Joe Biden von „starken Bedingungen“ abhängig sein. Die Taliban bräuchten die Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft, um das Land finanziell über Wasser zu halten, sagte Biden am Freitag im Weißen Haus. Künftige US-Hilfen sollen davon abhängen, wie gut die Taliban die Afghanen behandeln, insbesondere die Frauen und Mädchen, wie Biden betonte.
„Die bisherige Visumsbearbeitung beim Familiennachzug nach Deutschland war unzumutbar träge: Über einjährige Wartezeiten, nur um einen Visumsantrag stellen zu können, sind schlicht inakzeptabel. Durch diese bürokratische Abwehrhaltung sind jetzt viele Menschen, die eigentlich längst bei ihren Familienangehörigen in Deutschland sein sollen, in Afghanistan in akuter Gefahr.“
„Afghanische Flüchtlinge – das muss unser Ziel sein – müssen heimatnah versorgt werden, zum Beispiel in Pakistan, Iran, der Türkei, Tadschikistan, Usbekistan.“
„Sie haben den Eindruck, dass ihr monatelanger, harter Einsatz – oft unter Todesangst – letztlich vergebens war, und Erfolge aus 20 Jahren Afghanistaneinsatz jetzt von den Taliban mit einem Schlag zunichte gemacht werden.“
Die Bundeswehr hat zwei Hubschrauber für das Ausfliegen von Menschen in die afghanische Hauptstadt Kabul gebracht. "Die beiden gestern in Wunstorf verladenen Hubschrauber vom Typ Airbus H145M sind in Kabul angekommen", schrieb die Bundeswehr am Samstagmorgen auf Twitter. Mit ihrer Hilfe sollen gefährdete Menschen in Sicherheit gebracht werden, die es wegen der gefährlichen und unübersichtlichen Lage nicht aus eigener Kraft zum Flughafen schaffen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums können die Maschinen dazu eingesetzt werden, einzelne Bundesbürger oder auch Ortskräfte aus Gefahrenlagen zu retten.
Die beiden Maschinen des Typs H-145M sind Spezialkräften zugeordnet und wurden von den USA angefordert. Die amerikanischen Truppen flögen hauptsächlich mit großvolumigen Hubschraubern und benötigten im städtischen Umfeld eine kleinere Maschine, sagte Generalinspekteur Eberhard Zorn am Freitag in Berlin. Im Einsatz sollen die Bundeswehrmaschinen immer von Hubschraubern der USA begleitet werden. Im Hintergrund gebe es zudem von amerikanischer Seite eine "luftbewegliche Eingreifreserve". "Das ist eine wirkliche Luftoperation. Das ist kein Taxi-Service", sagte Zorn. Die Helikopter seien sehr beweglich und könnten selbst in eng bebauten Städten landen. Bisher ist die Bundeswehr nur innerhalb des Flughafens Kabul im Einsatz, der von amerikanischen Truppen abgesichert wird.
In der afghanischen Hauptstadt Kabul belagern weiterhin Tausende Menschen die Eingänge zum Flughafen. Das berichtete ein Augenzeuge der Deutschen Presse-Agentur am Samstag. Die verängstigten Menschen hoffen allesamt auf auf einen Platz in einem Flugzeug, um nach der Machtübernahme der islamistischen Talibankämpfer aus dem Krisenstaat zu fliehen.
Der Augenzeuge hatte bereits den gesamten Freitag an einem Eingang verbracht. Als er am Samstagmorgen (Ortszeit) dorthin zurückkehrte, habe sich die Menschenmenge noch einmal verdoppelt. Es fielen weiter praktisch durchgehend Schüsse. Am nördlichen Eingang habe es zudem Lautsprecherdurchsagen gegeben, dass das Gate nun zwei Tage geschlossen sei, sagte der Augenzeuge.
In einem Schreiben der deutschen Botschaft in Kabul mit Informationen zu den Evakuierungsflügen hieß es in der Nacht zu Samstag, die Lage am Flughafen sei weiterhin äußerst unübersichtlich. Es komme immer häufiger zu gefährlichen Situationen und bewaffneten Auseinandersetzungen an den Gates.
Der Zugang zum Flughafen sei nicht durchgehend gewährleistet und es sei wegen der unklaren Situation nicht möglich, vorab Informationen zu geben, wann die Tore geöffnet sein würden. Das amerikanische Militär entscheide über Öffnung und Schließung der Tore, je nach Lage. In dem Schreiben hieß es zudem, der Weg zum Flughafen erfolge auf eigene Verantwortung. Ein Transport vom individuellen Aufenthaltsort im Stadtgebiet zum Flughafen könne durch die deutsche Botschaft nicht geleistet werden.
Der weltweit größte US-Luftwaffenstützpunkt außerhalb der Heimat ist nun auch ein Drehkreuz für Flüchtlinge aus Afghanistan: Nach rund 300 Evakuierten am Freitagabend sind am Samstag weitere Afghanen auf der Air Base Ramstein im pfälzischen Ramstein gelandet. Auch in den Folgetagen werden weitere Flüge erwartet, sagte ein Sprecher des US-Stützpunkts der Deutschen Presse-Agentur. Ihre Zahl lasse sich vorerst noch nicht genau sagen.
Die ehemaligen Ortskräfte der USA in Afghanistan und ihre Familien, die aus Angst vor den Taliban ihre Heimat verlassen, kommen zunächst in Flugzeughangars der Air Base unter. „Nach ihren Registrierungen und medizinischen Erstleistungen sollen sie in die USA geflogen werden“, erklärte der Sprecher. Details entscheide das US-Außenministerium.
Die am Freitagabend in Ramstein gelandeten ersten rund 300 Evakuierten kamen laut der Air Base in zwei C-17-Transportmaschinen der US-Luftwaffe von einem Zwischenstopp auf deren Stützpunkt in Katar. Dieser sei kleiner und habe weniger Platz für einen Aufenthalt von Schutzsuchenden. In Ramstein ist laut dem Sprecher vorerst nicht vorgesehen, dass die Afghanen das Militärgelände verlassen. Der Kreis Kaiserslautern habe zwar netterweise schon Hilfe angeboten, zunächst habe die Air Base aber selbst noch genug Platz und Kapazitäten.
Brigadegeneral Josh Olson, Kommandeur des dortigen 86. Lufttransportgeschwaders, sagte laut Mitteilung: „Das Personal in Ramstein arbeitet unermüdlich, um den Evakuierten einen sicheren Platz zum Durchatmen zu bieten. Ich bin unglaublich stolz auf die Anpassungsfähigkeit unseres Teams, um diese Herkulesaufgabe in kürzester Zeit zu realisieren.“ Hunderte von Angehörigen mehrerer Geschwader der Air Base hatten nach ihren Angaben die Aufnahme ehemaliger Ortskräfte vorbereitet. Nach der Machtübernahme der Taliban in ihrer Heimat fürchten sie dort um ihr Leben.
Die britische Regierung will einem Bericht zufolge US-Präsident Joe Biden überzeugen, die Rettungsmission aus Afghanistan über Ende August hinaus fortzusetzen. Das berichtete die britische Zeitung Times am Samstag unter Berufung auf britische Regierungskreise.
Die USA wollen eigentlich bis zum 31. August den Abzug ihrer Truppen aus Afghanistan abschließen, wo die militant-islamistischen Taliban die Macht erobert haben. Biden wollte sich am Freitag nicht dazu äußern, ob der Evakuierungseinsatz darüber hinaus verlängert werden könnte. Er gehe davon aus, dass die Evakuierungen bis dahin abgeschlossen werden könnten, werde dazu aber später eine Entscheidung treffen.
Den britischen Regierungsquellen der Times zufolge könnte dieses Enddatum bedeuten, dass Tausende in Afghanistan zurückbleiben müssten, die eigentlich Anspruch auf Rettung hätten. Dies würde demnach vor allem afghanische Ortskräfte treffen, die für westliche Truppen gearbeitet haben. Der konservative Abgeordnete Tobias Ellwood sagte: „Es ist klar, dass eine große Zahl an US-Bürgern und Menschen, die nun von den Taliban verfolgt werden, zurückgelassen werden, wenn die Deadline nicht über den 31. August hinaus verlängert wird.“
Bislang hat Großbritannien rund 2400 Menschen aus Kabul ausgeflogen. Ziel der britischen Regierung ist es, pro Tag etwa 1000 weitere zu evakuieren.
Die Sicherheitslage am Kabuler Flughafen bleibt äußerst angespannt. Der Zugang zum Flughafen sei aufgrund der gefährlichen Lage häufig nicht möglich, teilte das Auswärtige Amt in Berlin auf Twitter mit. „Nach unserem Kenntnisstand sind die Gates derzeit geschlossen.“ Auch die Bundeswehr schrieb bei Twitter von einer „momentan sehr schwierigen“ Lage.
Trotz der Situation sei geplant, die Evakuierungen auch am Samstag fortzusetzen, teilte das Ministerium weiter mit. Weitere Maschinen der Bundeswehr, die Menschen aus der afghanischen Hauptstadt über die Luftbrücke ins usbekische Taschkent bringen sollen, seien im Einsatz. Seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban in Afghanistan vor knapp einer Woche flog die Bundeswehr mehr als 2000 Menschen aus Kabul aus.
„Wir müssen helfen, das ist unsere Verantwortung.“